Die Deutsche in mir
Heimat, Deutschsein, Volk, Nation - Am Tag der Deutschen Einheit ist Zeit für ein paar Triggerworte.
Nichts scheint den Deutschen zwischen Ost und West derzeit ferner, als die “Einheit”, die heute wieder in allerlei Festtagsreden beschworen werden wird. Das Deutschsein an sich ist in weiten Teilen des politischen Establishments sowieso ein problematischer Zustand, den man lieber abschaffen möchte. Wer etwas auf sich hält, ist heute lieber “Europäer” oder gleich “Weltbürger” einer No-Border-Gesellschaft. Die deutsche Fahne an Autos oder gar Hausfassaden - sie macht verdächtig, die falsche politische Gesinnung zu besitzen und das Deutschsein gar großartig zu finden. Wenn nicht einmal die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mehr schwarz-rot-gold, sondern regenbogenfarben flaggt und lieber “Die Mannschaft” ohne Nation sein will, für wen läuft man da eigentlich (inzwischen erfolglos) auf dem Platz noch auf?
Kein Volk weltweit scheint mehr damit beschäftigt, sich selbst zu hinterfragen, als die Deutschen. Volk - ist das Wort, obwohl es immer noch auf der Fassade des Deutschen Bundestages steht, nicht auch bereits auf dem Index “völkischen” Gedankengutes?
Was ist dieses Deutschland, das manche linke Milieus am liebsten abschaffen würden?
Die Frage von Heimat, wohin wir gehören, weil wir von dort stammen, wo wir uns selbst verorten, woran wir hängen, was uns ausmacht - Herkunft, Identität, Sprache, Erinnerung, Musik, Essen, Familie. Der Mensch hat Wurzeln, die man ihm nicht nehmen kann und auch nicht nehmen sollte. Die aktuelle Migratinspolitik folgt der Illusion, man könne Menschen einfach in eine neue Kultur, ein neues Land umsiedeln und das führe nicht etwa zu Problemen, sondern nur zu Bereicherung und Glückseligkeit. Nach über drei Jahrzehnten haben wir Deutschen jedenfalls nicht einmal zwei deutsche Mentalitäten restlos miteinander vereinen oder gar versöhnen können - wie anmaßend zu glauben, wir könnten die ganze Welt kulturell auf deutschem Boden verschmelzen.
Deutschsein für Zugezogene
„In welches Deutschland zieht ihr denn?“, fragte mich das große Mädchen. Ich war neun Jahre alt, lebte in Rumänien – und wusste die Antwort nicht. Wir schrieben das Jahr 1984, und ich hörte das erste Mal, dass es überhaupt zwei Deutschlands gibt. Meine Mutter hatte eine Brieffreundin in Karl-Marx-Stadt. Sie hatte uns mit ihrer kleinen Tochter den Sommer zuvor besucht. Zwei meiner Onkel waren bereits mit Familie vorausgezogen und wohnten in Freiburg. Alles irgendwie Deutschland.
Solange ich zurückdenken kann, drehten sich die Gespräche der Erwachsenen in meiner Kindheit im rumänischen Siebenbürgen immer wieder nur um ein Thema: nach Deutschland ziehen. Wer wann endlich die Genehmigung vom kommunistischen Staat bekommen hatte, endlich gehen zu dürfen. Wir lebten im Abglanz von Ceausescus real existierendem Kommunismus, aber wir waren doch Deutsche, oder nicht? Und wenn ja, zu welchem Deutschland gehörten wir denn nun?
33 Jahre später ist diese Frage immer noch aktuell; scheint das Land immer noch von einer unsichtbaren Mauer geteilt; sind plötzlich alle erschrocken, dass die Grenze des gefallenen Eisernen Vorhangs nach wie vor ihre Spuren in Mentalitäten, Gewohnheiten und politischen Hinterköpfen hinterlassen hat; zeichnet der Ort unserer Heimat immer noch seine Spuren bis tief in unsere DNA.
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit kann die Frage danach, was denn nun deutsch sei, was Heimat, Volk und Nation bedeuten und ob es das alles auch für Deutsche überhaupt gäbe, nicht mehr freimütig beantwortet werden – weht für manche gar etwas Anrüchiges in diesen Fragen mit.
Wer ist deutsch – und wenn ja, wie viele?
Am Rand der politischen No-Go-Area
Im Jahr 2023 ist es manchen eher peinlich, dass auf dem Reichstagsgebäude immer noch gut lesbar die Politik, die darin gemacht werden soll, „Dem deutschen Volke“ gewidmet ist. „Volk“. Ein Wort am Rand der politischen No-go-Area.
Und obwohl uns im Auslandsurlaub jeder hundert Meter gegen den Wind offenbar eindeutig als Deutsche erkennt, tun wir uns selbst mit der Frage, was uns als Nation von Deutschen ausmacht, so unfassbar schwer. „Nation“. Auch so ein Wort, das demnächst mit Triggerwarnungen versehen werden muss.
So scheint es oft einfacher zu definieren, was wir als Deutsche nicht sind oder nicht sein wollen, als das, was uns über alle Bundesländer, Sitten und Gebräuche hinweg als Deutsche eint. Das, was mehr ist als die Unterscheidung zwischen denen, „die schon länger da sind“, um die ehemalige Kanzlerin Merkel zu zitieren, und denen, die gerade in Strömen neu dazukommen und ausgelöst haben, dass sich neue Gräben aufgetan haben. Unter Deutschen.
Was ist dieses Deutschland, das in manchen linken Milieus gerne als „mieses Stück Scheiße“ bezeichnet wird und das jedenfalls für meine Familie doch das Land der Verheißung war und geblieben ist? Dieses Land, in dem wir leben wollten, weil wir in unserer Heimat in Rumänien als „die Deutschen“ galten, um dann in Deutschland zu realisieren, dass uns hier viele als „die Rumänen“ bezeichneten.
Ich stamme aus Siebenbürgen. Es ist jedenfalls meine Heimat. Dieser Landstrich hinter den Karpaten, den ich später meinen Mitschülern in Deutschland immer als „Transsilvanien“ vorstellte, weil ein Hauch von Dracula irgendwie cooler klang als der Name dieser kleinen Stadt, aus der ich stamme, mit der kleinen Kirchenburg in der Mitte und mit genau einer Ampel. Schon vor Jahren las ich, die Grüne Jugend würde uns gerne dazu anhalten, den Begriff „Heimat“ nicht mehr zu benutzen, weil er ausgrenzend sei.
Die „BUMS“-Seminare” (Beziehungen, Unanständigkeit, Macht und Sexualität) dieser Jugendorganisation haben offenbar ernsthafte intellektuelle Schäden hinterlassen. Kein Land dieser Erde ließe sich ohne die Antwort auf die Frage nach Heimat, Kultur, Herkunft und Tradition und der Eingrenzung all dieser Dinge definieren. Nicht um andere auszugrenzen. Sondern um sich seiner selbst zu vergewissern.
Deutsche unter Deutschen
Würde jemand im politischen Raum die Behauptung aufstellen, es gäbe jenseits der gemeinsamen Sprache gar nicht so etwas wie eine französische oder italienische oder türkische Kultur, man wäre in Sekundenschnelle als Rassist verschrien. Aber das tat ausgerechnet die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ungestraft mit dem Deutschsein, dessen Miteinander mit den neu dazu Gekommenen im Land sie täglich neu verhandeln wollte.
Ich bin Deutsche unter Deutschen. Früher war ich eine unter Rumänen. Hätte man mich nachts geweckt und gefragt, was ich bin, ich hätte schon als Kind gesagt: deutsch. Es ist meine Muttersprache, in der ich träume. Preußische Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit standen unter den Deutschen in Siebenbürgen hoch im Kurs.
Ich habe die gleichen Kinderlieder gesungen wie die Kinder in Deutschland, musste den „Knecht Ruprecht“ auswendig lernen, damit der Nikolaus mir was bringt, habe „Heidi“ gelesen und Karl May. Siebenbürgen bleibt Heimat, ganz egal wie weit ich mich davon entferne, egal wie lange ich schon nicht mehr dort war und wie sehr ich lange Zeit versucht habe, es abzustreifen.
Meine Ururgroßeltern wagten einst wie so viele die Überfahrt in die Vereinigten Staaten und suchten ihr Glück in den Orangenhainen von Florida. Lange sind sie nicht geblieben. Sie hatten Heimweh.
Denn man kann zwar sein Hab und Gut mitnehmen und sogar seine Familie, die Fotoalben, die Kochbücher, die Sitten, Gebräuche und den Glauben an einen Gott – und doch wird es nicht zwingend eine neue Heimat. Man wird nicht Amerikaner, nur weil man dort wohnt. Und man wird kein Deutscher, nur weil man nach Deutschland kommt. Man bleibt aber immer Deutscher, wenn man es einmal ist.
Meine Vorfahren hatten ihr Herz nicht nach Florida mitgenommen, sondern in der Heimat gelassen. Deswegen mussten sie umkehren. Und bis zuletzt meinten meine Großeltern, die doch ein Drittel ihres gut 90-jährigen Lebens zuletzt in Deutschland verbracht hatten, wenn sie „zu Hause“ sagten, immer noch Siebenbürgen. Sie waren Deutsche unter Deutschen geblieben.
Eine zweite Heimat?
Immer mehr Menschen leben dauerhaft in Deutschland, stammen aber aus einem anderen Land, einer anderen Kultur. Ich glaube, viele fühlen sich hier zu Hause, sie wollen auch für immer bleiben, aber sie hatten mal eine andere Heimat, die sie in ihrem Leben nicht loslassen wird. Deutschland ist nun ihr Zuhause. Es drängt sich spontan die Frage auf, ob man wohl eine zweite Heimat haben kann, oder ist dies etwas, was es im Leben nur einmal gibt?
Ich tendiere zu Letzterem. Ein neues Zuhause ist schnell gefunden, eine Heimat manchmal nur schwer ersetzt. Zu Hause – das wählt man sich aus. Man zieht aus dem Elternhaus aus, geht studieren, in ein neues Land, manchmal temporär, manchmal dauerhaft. Man kommt zurecht, man gewöhnt sich ein, lernt neue Menschen kennen, man lernt die Sprache. Herrlich altmodisch hieß es früher noch, man „wird heimisch“ – es ist also ein Prozess, der länger dauert. Zu Hause, das sind die Menschen, mit denen ich lebe, meine Familie. Das Lieblingskissen auf dem Sofa, der Goldene Fisch von Paul Klee, der schon in zahlreichen Wohnungen hing. All das könnte ich auch in die Fremde mitnehmen und dort ein anderes, neues Zuhause schaffen. Bis es eine „zweite Heimat“ wird, muss wohl sehr viel Zeit verstreichen. Meine Urgroßeltern haben diesen Punkt in Florida einst nicht erreicht. Sie hatten Heimweh, sie wollten wieder in die Heimat, sie sind zurückgekehrt. Weil es nicht reicht, seine Liebsten um sich zu haben, man lässt einen Teil zurück. In der Heimat.
Nostalgie und Verklärung
Wenn also das Zusammenwachsen von Deutsch und Deutsch sich bereits derart langwierig gestaltet, wie schwer muss erst das Zusammenwachsen von Deutsch und Nichtdeutsch in Wahrheit sein? Wenn man sich den Realitäten stellt, dass multikulturelle Gesellschaften nicht etwa Regenbogenparadiese sind, sondern der mühsame Versuch, Dutzende von Parallelgesellschaften auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, auch wenn der Zähler im Herzen immer noch einen anderen Puls vorgibt.
Dann fange ich an nachzuvollziehen, warum manche – trotz Mauer und Stasi, trotz Reisesperre und Repressionen – immer noch von Spreewaldgurken und Rotkäppchen-Sekt reden und in den guten alten Zeiten der DDR schwelgen. Weil es ihre Heimat war und ist. Und weil die Teilung von Deutschland sich nicht einfach auflöst, nur weil man einen Grenzzaun entfernt. Was sich in Menschen verwurzeln konnte, trägt auch nach Jahren noch Knospen.
Und dann beginne ich zu verstehen, warum meine ehemalige polnische Putzfrau auch nach 20 Jahren in Deutschland und mit drei Kindern auf dem Gymnasium immer noch kein Deutsch spricht. Weil sie ihr Stück Heimat in ihrer polnischen Gemeinschaft und mit Satellitenfernsehen bewahrt. Und auch wenn ich es inakzeptabel finde, so gewinnt die Schar der Erdogan-Anhänger in Deutschland Sinn aus der Perspektive verlorener Heimat.
In Wahrheit sind wir als Menschen alle so. Die unterschiedlichen Deutschen bindet nur schon sehr lange ein gemeinsamer Weg. Der Bayer war auch schon immer anders als der Franke, der Schwabe, der Preuße oder der Berliner. Mir warf einst im Konfirmationsunterricht in einer badischen Kleinstadt eine 13-jährige Mitschülerin den Satz vor die Füße, ich hätte als Zugezogene hier im Ort sowieso nichts zu melden.
Im tiefen Sauerland gelten bis heute in manchen Orten Ehen zwischen Katholiken und Evangelischen immer noch als „Mischehen“. Identifikation geht immer einher mit Abgrenzung. Nicht selten ist man stolz auf das Eigene, das Andere, das Besondere. „Mir san mir.“ Der gemeinsame Nenner bleibt dennoch tief in uns verwurzelt.
Sachsen ist auch Deutschland. Thüringen und Hessen und selbst Siebenbürgen und die Russlanddeutschen. Eine gemeinsame Geschichte, eine christlich geprägte Kultur, selbst für diejenigen, die nicht an den dazugehörigen Gott glauben mögen, eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Sitten, Gebräuche, Essen, Musik, Literatur, Humor.
Heimat ist Normalität
So betrachtet, hatte ich bereits viele Zuhause, wir sind nach dem Auswandern oft umgezogen – nur meine Heimat blieb immer am gleichen Ort. Denn das ist ein anderes Gefühl. Der Gedanke an Heimat ist sehr mit kindlichen Erfahrungen verhaftet. Es ist diese unglaubliche Mischung aus Sprache, Landschaft, Aromen, Gerüchen, Essen und Klängen, an die wir uns von Kindheitstagen an gewöhnt haben. Die wir schon im Mutterleib erfahren haben und unbewusst aufsaugen.
Heimat ist Selbstverständlichkeit. Eine Normalität, die man nicht hinterfragt und die einem oft erst bewusst wird, wenn sie in der Fremde fehlt. Heimat, das sind die Straßen, durch die unser Kinderwagen geschoben wurde und in denen wir uns später intuitiv auskennen, die gewohnten Gesichter, der Kleidungsstil, der alte Mann auf dem Markt, das Glockenläuten, Lieder. Man kann es nicht an einzelnen Faktoren festmachen, sie gehören alle zusammen und sie prägen uns, ob wir nun wollen oder nicht. Man kann sie leider nicht einfach mitnehmen an einen anderen Ort.
Als ich neun Jahre alt war, sind wir nach Deutschland ausgewandert. Nach Deutschland, das war das Ziel von allen in unserem Bekanntenkreis. Ich erinnere mich jetzt noch an die Gespräche der Erwachsenen, die Wortfetzen, die auch kleine Kinder begreifen. Warten, Genehmigungen, die nicht kommen und dann die Aufregung, wenn wieder einmal jemand im Freundeskreis endlich ausreisen durfte. Ja, wir waren doch Deutsche und Sie hätten mit der Aussage, dass wir ja eigentlich Rumänen sind, unsere Familie schwer beleidigen können, auch wenn es laut Pass völlig korrekt war. Wenn man heute in meiner Großfamilie fragt, würde man sehr unterschiedliche Antworten bekommen darüber, wo wir zu Hause sind. Wir sind viele und wir leben inzwischen alle in Deutschland, verstreut in verschiedenen Bundesländern und haben an unterschiedlichen Orten unser Zuhause gefunden. Auf die Frage nach der Heimat gäbe es aber vermutlich bis in meine Generation hinein nur eine Antwort: Es ist immer noch dieser Ort in Siebenbürgen, in dem wir alle geboren sind.
Essen ist Heimat
Und doch, ein bisschen Heimat haben wir hier rüber gerettet. Besonders auffällig war es bei der Generation meiner Großeltern, aber auch noch bei der meiner Eltern. Sie sprechen alle noch den alten Dialekt untereinander, den meine Generation noch versteht, aber nicht mehr – oder nur mit größter Mühe – spricht. Wenn wir als Großfamilie zusammenkommen, dann sind die opulenten Mahlzeiten ganz wichtig. Es muss genug da sein, auch das eine Erinnerung aus Rumänien, denn es war ja nicht immer genug von allem da.
Geschmacklich gibt es bei den Mahlzeiten das eine wichtige Kriterium: Es muss wie früher schmecken. Das ist Güteklasse A. Wenn einer von uns im Urlaub in der alten Heimat war, bringt er von dort Lebensmittel mit. Den Schafskäse von den Bauern, den selbst gebrannten Schnaps, Polentamehl aus dem rumänischen Supermarkt oder löslichen Kaffee in Dosen – nicht weil es objektiv so besonders schmeckt, sondern einfach so wie früher. Denn das ist ein Stück Heimat hier auf dem Teller. Wie die Salzkartoffeln mit Petersilie die sich überall in Deutschland finden. Damit sind wir nicht anders, als all die Deutschen, die sich anderswo auf der Welt, sei es den USA oder in Afrika, in Gemeinschaften als Auswanderer zusammenfinden. Man bildet Bündnisse in der Fremde – nur dass wir Deutsche unter Deutschen sind. Und wir sind wie alle Chinesen, Italiener oder Türken, die ihr Glück in einem anderen Land suchen. Man tut sich zusammen in China Town, Little Italy und in Kreuzberg und hört die Musik von früher, kocht das Essen wie früher, erzählt Geschichten von damals. Man schleppt sein Stück Heimat mit sich herum.
In guter Erinnerung
Ich war nun schon fast 40 Jahre nicht mehr in meinem Heimatort und ich wollte lange Zeit auch explizit nicht mehr hin. In meiner Erinnerung war alles schön. Selbst die staubigen Straßen, auf denen Pferdemist lag, weil es mehr Fuhrwerke als Autos gab. So viel hat sich seither geändert, ich wollte die Kindheitsperspektive behalten. Meine Heimat fehlt mir nicht mehr, ich hab sie einfach in guter Erinnerung.
Ja, in den ersten Jahren in Deutschland, da habe ich meine Schulfreunde beneidet. Darum, dass sie sich schon so lange kennen. Dass sie hier schon immer gewohnt haben. Banal, aber es war eben etwas, was ich nicht hatte. Heute gibt es keine Wehmut, nur eine Vergangenheit, die aber Teil von mir ist. Bis heute verstehe ich viel der rumänischen Sprache, obwohl ich es nie wirklich gelernt habe als Kind. Ich hab es offenbar einfach mit auf den Weg bekommen. Aufgesogen. Erinnerungen an den großen Hof mit den Weintrauben, die mein Vater und mein Großvater auf Drähten daran hochzogen. Das Fahrrad mit den roten Reifen. Das große Hoftor, die Straße zum Friedhof, wo immer noch das Schild „Ort der Ruhe“ hängt, das mein Großvater angefertigt hat. Opa Hans, wie er braungebrannt in der Sonne sitzt und Ziehharmonika spielt zu selbst komponierten, lustigen Texten. Kinderlachen. Meine Cousinen, die alle in meiner Straße wohnten und alle in meiner Schulbank saßen. Die Trachtengruppe, die auf der Straße tanzt, unser Dackel „Blacky“. Der Nussstrudel, das Spanferkel, die Kümmelsuppe meiner Mutter, wenn wir Bauchschmerzen hatten. Es ist meine kindliche Idylle, ich wusste nichts von Politik, dafür war ich zu jung. Mir hat nichts gefehlt. Ich möchte es so in Erinnerung behalten.
Und jedes Mal, wenn sich ein Sommergewitter entlädt und dieser typische Geruch aufsteigt, wenn heißer, staubiger Asphalt dampft, dann bin ich wieder dieses kleine Mädchen, das in der alten Straße steht, in dem Ort hinter den schwarzen Wäldern. Das ist meine Heimat. Ich war Deutsche unter Rumänen. Heute bin ich Deutsche unter Deutschen.
Endlich habe ich Argumente, mein Deutschsein zu begründen! So hat man Anlass, endlich mal in lesenswerter Form eigene Erinnerungen zu verarbeiten. Kriegsbedingt wurde ich erst mit 12 nach vielen Ortswechseln in Berlin „seßhaft“. Vor allem die Sprache, das „Berlinern“ durch Vater und Großmutter (mit ihrem „Mutterwitz“!) hat meine Erinnerungen geprägt, Ihre prägnant-verkürzten, trotzdem humorvollen Schilderungen, mit treffenden Wortbildungen alltäglicher Situationen und anschließendem Lachen – so müssen Witze entstanden sein.
Und „Heimat " empfinde ich noch heute bei meinen Berlin Besuchen: Kaum fallen die ersten Worte, schon binnick wieda drin! Und dass nach Jahrzehnten!
Ich hab auch noch einige „Faktoren“ auf Lager: Sonntagshose und Sonntagsspaziergang, Freitags immer Fisch, und den Küchentisch DAS Kommunikationszentrum! Ihn gab’s nur „zu Hause“, damit verbunden :das ganz einfache Gefühl: nach Hause kann ich immer wieder zurückkommen......
In einer ÖR Talk Show wurde ich nach meinen Erinnerungen an meinen Vater gefragt, meine Antwort: Das waren die preußischen Tugenden, die er uns Kindern vermittelt hatte. Die Moderatorin mußte flugs das Thema wechseln.....
Grandios - hoffe sie bald wieder im Servus.tv hören zu dürfen.
lg aus Wien